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19:30
Writing Ghosts
Open the window to erase your ghost or maybe let one in
Die Geister von Toten, die Geister von Vergangenheit wie Gegenwart holen uns in diesen Gedichten ein. Writing Ghosts stellt vier Dichterinnen vor, die in ihren Texten in die kollektive und individuelle Geschichte zurückgehen und sich in die Zwischenwelten von Lebenden und Toten begeben.
Monika Herceg (geboren 1990 in Sisak, Kroatien) debütierte 2018 mit dem Band „Početne koordinate“ (SKUD Ivan Goran Kovačić), dessen englische Übersetzung von Marina Veverec unter dem Titel „Initial Coordinates“ (Sandorf Passage 2022) international Aufmerksamkeit erregte und vielfach ausgezeichnet wurde. Der vierteilige Zyklus – unterteilt in Herkunft, Flucht, Exil, Rückkehr – erzählt von einer Kindheit in einem kroatischen Dorf in den 90ern während der Jugoslawienkriege. „sharply and abruptly like wounding / begins the final hunt / death meeting us in person / before the doors close“, heißt es einmal. Diese beunruhigende Tonalität, die ein stetes Gefühl der Bedrohung erzeugt, prägt den gesamten Band, ebenso finden sich Anklänge an slawische Mythologie und mündliche Tradition. Das Familienleben wird beschrieben als armutsgeprägt und gewaltvoll, die Welt außerhalb des Dorfs erscheint bedrohlich und der Tod immer nah: „the death we feed to others / sometimes by chance / comes back into ourselves“.
„Ich wollte, dass ein Geist der Kollektivität aus den Gedichten hervortritt“, beschreibt Kim Hyesoon (geboren 1955 in Uljin, Kyŏngsangbuk-do, Südkorea) im Interview ihren Band „Autobiographie des Todes“ (S. Fischer Verlag 2025), der in diesem Jahr in deutscher Übersetzung von Uljana Wolf und Sool Park erschien. Die 49 Gedichte des Bands, die die 49 Tage repräsentieren, die ein Geist nach buddhistischer Sage zwischen Tod und Reinkarnation umherwandelt, sind abgründige Gedichte, geschrieben im Bewusstsein der „Struktur des Todes, in der wir weiterhin leben“. Ebenso verhält es sich mit den Gedichten des letzten, in englischer Übersetzung von Don Mee Choi erschienenen, Bands „Phantom Pain Wings“ (New Directions 2023), in dem die Figur eines Vogelmenschen die Grenzen zwischen Lebenden und Toten, Körperlichem und Geistlichem verwischt. Hyesoon: „Vogel ist ein Mechanismus, um die Lücken zu subjektivieren. Vogel ist ein Subjekt im Werden, das mich die Toten zur Welt bringen lässt.“
Die Gedichte in Sasja Janssens (geboren 1968 in Venlo, Niederlande) vorletztem Band „Virgula“ (Querido 2021), ausgezeichnet mit dem Awater-Poesiepreis und dem Johan-Polak-Poesiepreis, sind dem Komma, lateinisch Virgula, gewidmet, das angerufen wird als Muse oder Freundin: „don’t entreat me, I’m writing to you in all earnestness, Virgula Virgula“. In den Briefen an Virgula werden Geschehnisse aus der Vergangenheit aufgerufen, die abstrakt bleiben und nicht auserzählt werden: Missbrauch, gescheiterte Liebesbeziehungen, eine Brustamputation. Das Komma hält das lyrische Ich zusammen. Es ist die rastlose Kraft, durch die sich das Leben und die Gedichte trotz allem nicht der Stagnation hingeben und die Satz um Satz die Leere, die das lyrische Ich empfindet, füllt: „I allow myself to be chased along / by the commas, my she-devils“. Und doch entfaltet sich die Wirkung des Kommas, die Bedeutung der Geschehnisse, erst vor dem Hintergrund des unvermeidlichen Endes, das sie immer nur aufzuschieben vermögen.
„These poems sing to and for the ghosts of identity, history and culture”, schreibt Terrance Hayes in seinem Vorwort zu Diana Khoi Nguyens (geboren in Los Angeles) Debütband „Ghost Of” (Omnidawn 2018), der für den National Book Award nominiert war. In diesem Band, und noch stärker im Folgeband „Root Fractures” (Scriber 2024), setzt Nguyen den Suizid ihres Bruders in Kontinuität zu Gewalterlebnissen und Traumata in ihrer Familiengeschichte. Nguyens Eltern, die beide während des Krieges in Vietnam geboren wurden, flüchteten nach dem Krieg in die USA. „Let me tell you a story about refugees. A mother and her dead son sit in the back seat of his car.“ Die Leerstelle des Bruders ist in den Gedichten allgegenwärtig: Familienfotografien, aus denen er sich zwei Jahre vor seinem Tod herausschnitt, werden zum Negativraum, in den und um den herum Nguyen ihre Gedichte setzt, wie um diese Leerstelle zu füllen und einzuhegen. „There is a house in me. It is empty. I empty it. / Negative space: the only native emptiness there is”.
Moderation: Irina Bondas
Die Veranstaltung wird englisch-deutsch gedolmetscht. Mit freundlicher Unterstützung von ECHOO Konferenzdolmetschen
Gefördert durch: Nederlands Letterenfonds, Traduki
Die Veranstaltung findet in der Kuppelhalle statt.
- Diana Khoi Nguyen • Sasja Janssen • Kim Hyesoon • Monika Herceg
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Ort:
silent green
Gerichtstraße 35, 13347 Berlin
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Eintritt:
12/9 €
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